
16. Oktober 2022
Medikamentöse Schmerztherapie
Schmerzart wichtiger als -stärke
Schmerz ist nicht gleich Schmerz – aber welche Schmerzmedikamente sind wann sinnvoll? Die Österreichische Schmerzgesellschaft (ÖSG) rät dazu, bei der Behandlung vermehrt nach Schmerzart statt nur nach Schmerzstärke vorzugehen. Mechanismen-orientierte Ansätze in der Schmerztherapie scheinen das etablierte „Stufenschema“ der WHO abzulösen.
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Wann sind welche Schmerzmedikamente sinnvoll? „Jüngere Daten und Fachpublikationen weisen immer stärker in die Richtung, dass wir für diese Entscheidung mehr auf die Schmerzursache achten müssen und weniger starr nach Schmerzstärke vorgehen sollten“, sagt OÄ Dr. Waltraud Stromer, Präsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG), anlässlich der 21. Österreichischen Schmerzwochen der ÖSG. Die jährlich stattfindende Informationskampagne der Fachgesellschaft richtete heuer den Fokus darauf, neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Entstehung und Behandlung von Schmerz für Patienten nutzbar zu machen und in die Praxis umzusetzen.
Mechanismen- statt Stufenmodell
Seit 1986 bietet das regelmäßig adaptierte (zuletzt 2019) „Stufenschema“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Ärzten weltweit Orientierung für die Wahl des geeigneten Analgetikums bei Tumorschmerzen. Obwohl es von der WHO dafür keine Empfehlung gibt, wurde es auch für das Schmerzmanagement von nichttumorbedingten akuten und chronischen Schmerzen angewandt.
Das Stufenschema teilt Schmerzen vorwiegend nach ihrer Intensität in drei Stufen ein. Für jede Stufe sind geeignete Schmerzmedikamente vorgesehen. Kurz gefasst empfiehlt die WHO: für Stufe 1 Nicht-Opioidanalgetika, Stufe 2 schwache Opioide plus Nicht-Opioidanalgetika und Stufe 3 starke Opioidanalgetika plus Nicht-Opioidanalgetika. Reichen die jeweiligen Schmerzmedikamente nicht aus, um die Schmerzen der aktuellen Stufe zu lindern, wird zur nächsten übergegangen.
„Das WHO-Stufenschema ist nach Meinung zahlreicher Schmerzexperten heute nicht mehr zeitgemäß. Als neue Orientierungshilfe für die Behandlung akuter wie chronischer Schmerzen sollte ein ‚Mechanismen-orientiertes‘ Modell dienen“, unterstreicht Stromer. Für die Therapiewahl ist also entscheidend, unter welcher Art von Schmerzen die Patienten leiden: Sind es nozizeptive Schmerzen, die durch Gewebeverletzung bedingt sind? Oder neuropathische Schmerzen, die durch eine Schädigung oder Dysfunktion des peripheren und/oder zentralen Nervensystems entstehen? Ist es ein noziplastischer Schmerz, der keiner spezifischen strukturellen Läsion oder Anomalie zuzuordnen ist? Oder handelt es sich um „mixed pain“, bei dem sowohl nozizeptive als auch neuropathische und/oder dysfunktionale Komponenten das Schmerzgeschehen beeinflussen? Zu „mixed pain“ zählen etwa Rückenschmerzen oder Tumorschmerzen.
Die ÖSG-Präsidentin betont, dass das neue Modell eine wichtige Orientierungshilfe für den Weg zur optimalen Schmerztherapie ist, aber keine konkrete Behandlungsanleitung darstellt.
Schmerzmittel kombinieren
Das Mechanismen-orientierte Modell erlaubt es, differenziert mehrere Substanzen zur Schmerztherapie in Kombination einzusetzen. „Jede Schmerztherapie muss an den jeweiligen Patienten ganz individuell angepasst werden. Dazu ist es unbedingt notwendig, zu beurteilen, ob die Patienten Responder auf ein Medikament sind, also das Therapieziel ‚deutliche Schmerzlinderung‘ mit keinen oder geringen Nebenwirkungen erreichen können“, so ÖSG-Vorstandsmitglied OA Dr. Wolfgang Jaksch von der Abteilung Anästhesie, Intensiv- und Schmerzmedizin in der Klinik Ottakring, Wien. Sind die Schmerzen neuropathisch oder haben sie eine neuropathische Komponente, erfordert die Therapie zumeist eine Kombination unterschiedlich wirksamer Medikamente. „Es gibt leider kein Präparat, das nozizeptive und neuropathische Schmerzkomponenten gleichermaßen reduzieren kann. Daher muss auch hier oft mit Medikamentenkombinationen gearbeitet werden“, erklärt Jaksch. Bei neuropathischen Schmerzen können bestimmte Antidepressiva, Antikonvulsiva, aber auch lokale Therapieformen zusammen zur Anwendung kommen. Weiters spricht für die Kombination von Substanzen, dass ein einziges Schmerzmittel meist nicht ausreicht, um chronische Schmerzen wirksam zu lindern, und hohe Einzeldosen oft schlecht vertragen werden.
Einsatz von Opioiden
Opioide sind im Rahmen eines multimodalen Ansatzes und in Kombination mit anderen Therapieoptionen unverzichtbar für die Behandlung akuter wie chronischer Schmerzen. Aber auch bezüglich der Opioidgabe gilt das WHO-Stufenmodell nur mehr eingeschränkt. Das Modell gibt vor, bei mittlerer Schmerzstärke ein schwaches Opioid und bei starken Schmerzen ein starkes Opioid zu verwenden. „Da heute eine viel größere Palette an Opioid-Präparaten mit geringen Dosierungen zur Verfügung steht, müssen wir in der klinischen Praxis nicht erst die unzureichende Wirksamkeit der Stufen 1 und 2 abwarten, um Substanzen der Stufe 3 einzusetzen. Speziell für Patienten, deren Organe geschwächt sind oder die bereits viele unterschiedliche Medikamente einnehmen müssen, kann es effektiver und sicherer sein, mit stärker wirksamen Opioiden in geringster Dosierung zu beginnen“, sagt Jaksch.
Bei der Auswahl des geeignetsten Opioids müssen zudem noch mehr Faktoren berücksichtigt werden: „Etwa die Komorbiditäten der Patienten, die Nebenwirkungen des Opioids und allfällige Kontraindikationen und auch wie die Substanz in den Körper gelangen soll. Beispielsweise wissen wir, dass bei vielen Tumorpatienten auch mit einer transdermalen Opioidtherapie die Schmerzen gut gelindert werden können“, sagt der Experte.
Quelle:
Presseaussendung der ÖSG