SGSPP
Leistungssport: psychiatrische Untersuchung und Behandlung
Die Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie (SGSPP) bezweckt die Förderung der Sportpsychiatrie und -psychotherapie über die Lebensspanne in der Schweiz im Leistungssport und in der Allgemeinbevölkerung. In Leading Opinions Neurologie & Psychiatrie wird regelmässig über die jüngsten Entwicklungen der Sportpsychiatrie und -psychotherapie (in der Schweiz) und ihre Tätigkeitsfelder – im Breiten-, Gesundheits- und Leistungssport – berichtet.
In diesen Gesellschaftsnachrichten bildet der Leistungssport den Schwerpunkt, im Speziellen die psychiatrische Untersuchung und Behandlung. Dabei erfolgt auch ein Kommentar zum «International Olympic Committee (IOC) Sport Mental Health Assessment Tool 1 (SMHAT-1)».
Gouttebarge et al. publizierten SMHAT-1 in der Januarausgabe des renommierten «British Journal of Sports Medicine» (BJSM).1 Ein E-Letter zu SMHAT-1 wurde durch den SGSPP-Vorstand und Andres Schneeberger erarbeitet und im BJSM publiziert.2 Die folgenden Ausführungen nehmen im Sinne einer Zeitveröffentlichung Bezug auf Teile dieses Kommentars.
Initiativen zur Verbesserung der Früherkennung und Untersuchung, wie im Umgang mit psychischen Problemen und Erkrankungen im Leistungssport sind nur zu unterstützen. Die Grundidee hinter SMHAT-1 ist sehr gut, mehrere Aspekte im SMHAT-1 gebieten aber einer kritischen Diskussion, entsprechend der geltenden klinischen Standards und Leitlinien.
Psychiatrische Untersuchungund Behandlung
Fragebögen sind wertvolle Instrumente in der Früherfassung und Untersuchung psychischer Beschwerden und Erkrankungen. Sie können aber die klinische Untersuchung nicht ersetzen und sind nur ein Teil des diagnostischen Prozesses. SMHAT-1 schlägt einen sehr umfassenden Einsatz von Fragebögen für eine Vielzahl verschiedener psychischer Beschwerden und Erkrankungen vor.1 Hierzu gehört auch das Screening auf Störungsbilder, wie ADHS, bipolare affektive Störungen, PTSD und Psychosen, die bei Verdacht einer umfassenden klinischen Untersuchung mit spezifischer Fachkenntnis bedürfen.
SMHAT-1 gesteht Sportärzt*innen ohne fachärztliche Weiterbildung in einem der beiden psychiatrischen Fachgebiete eine weitreichende Kompetenz und Verantwortung in der Diagnostik und Behandlung psychischer Erkrankungen zu, die auch deren Koordination miteinschliesst.1 In Fällen, die schwer, komplex und diagnostisch unklar sind und/oder nicht auf die initiale Behandlung ansprechen, wird die Überweisung zu einem Spezialisten, zum Beispiel klinisch ausgebildeten Psycholog*innen oder Psychiater*innen und Psychotherapeut*innen, vorgeschlagen.1
Die klinische Untersuchung und Diagnostik wie auch die Behandlung psychischer Probleme und Erkrankungen sollte durch entsprechende Spezialisten erfolgen und erfordert eine psychiatrisch-psychotherapeutische Expertise.3 Die Koordination der integrierten psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung ist eine Kernkompetenz von Psychiater*innen und Psychotherapeut*innen und sollte eben durch diese auch erfolgen.3,4 Nach demselben Argument sollten Kinder und Jugendliche durch Spezialisten und Fachärzt*innen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie behandelt, respektive die Behandlung koordiniert werden.
Psychiater*innen und Psychotherapeut*innen und klinisch ausgebildete Psycholog*innen können sich hervorragend ergänzen, unterscheiden sich aber in ihrer Aus- und Weiterbildung und demzufolge in ihrer Expertise und Qualifikation im Umgang mit psychischen Beschwerden und Erkrankungen. Diese Unterschiede in ihrer Expertise und Qualifikation sollten klar herausgestellt werden.
Gouttebarge et al. schlugen des Weiteren den Einsatz von SMHAT-1 auch bei vermuteter Erfahrung mit Gewalt und Missbrauch vor.1 Bereits der Verdacht auf Gewalt und Missbrauch bedarf stets der Konsultation und Untersuchung durch entsprechende Spezialisten. Screening-Fragebögen können in diesen Situationen hilfreich sein, können aber mit Sicherheit nicht die spezifischen Bedürfnisse von Athlet*innen in diesen schwierigen Situationen decken, zumal wegweisende Symptome initial oft auch fehlen können.
SMHAT-1 sollte in den genannten Aspekten und grundlegenden Standards klinischer Praxis im Umgang mit psychischer Gesundheit und Erkrankungen sowie Gewalt und Missbrauch angepasst werden.2
Vorschläge zur sportpsychiatrischen Diagnostik im sportmedizinischen sowie sportpsychiatrischen Setting werden derzeit von Mitgliedern der SGSPP zusammen mit Kollegen der Sportmedizin ausgearbeitet und sollen gegen Ende des Jahres in einem Sonderheft Psychiatrie und Sportmedizin in der «Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin» (DZSM) publiziert werden.
Psychische Gesundheit im Leistungssport
Sportärzt*innen und den weiteren Fachleuten und -disziplinen im Leistungssport kommt eine sehr wichtige Funktion in der Förderung der psychischen Gesundheit zu. Die Rolle von Spezialist*innen ohne eine spezifische Expertise im Umgang mit psychischen Problemen und Erkrankungen bedarf aber stets auch eines kritischen Diskurses.
Athlet*innen sollten Zugang zu der bestmöglichen interdisziplinären Versorgung haben.5 Die medizinischen Betreuungs- und Versorgungsteams im Leistungssport sind gegenwärtig oft (noch) durch das Fehlen von Fachleuten mit einer spezifischen Expertise in der Sportpsychiatrie und -psychotherapie gekennzeichnet und der regelhafte Zugang zu der bestmöglichen medizinischen Versorgung der psychischen Gesundheit ist damit häufig nicht gegeben.
Die Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie setzt sich für die Integration qualifizierter medizinischer Fachleute in den Versorgungskonzepten im Leistungssport und Fachstellen für Sportpsychiatrie und -psychotherapie in Verbänden und Vereinen ein.6
Die klinische Untersuchung durch sportpsychiatrisch weitergebildete Sportärzt*innen kann ein wertvoller Teil der sportmedizinischen Untersuchung (SPU) sein. Darüber hinaus bedarf es der Ergänzung der SPU im Leistungssport um eine sportpsychiatrisch-psychotherapeutische Untersuchung durch Psychiater*innen und Psychotherapeut*innen.
Der systematischen, sportpsychiatrischen und -psychotherapeutischen Weiterbildung von Psychiater*innen und Psychotherapeut*innen, aber auch weiterer Spezialisten wie Sportärzt*innen – auch im Sinne einer Qualitätssicherung – ist daher von grosser Wichtigkeit. Aufklärung und Schulung des Umfeldes und der nicht medizinischen Fachleute über psychische Gesundheit und Erkrankungen sind ebenso von grosser Bedeutung.
Weitere Informationen und aktuelle Nachrichten zur Schweizerischen Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie finden sich auf der SGSPP-Homepage www.sgspp.ch. ◼
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M. C. Claussen, Zürich◼
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