CCC Vienna Cancer Update

Neues und Bewährtes zum Schilddrüsenkarzinom

In der Ausgabe 5 von JATROS Hämatologie & Onkologie haben wir über die Vorträge zu den neuroendokrinen Neoplasien (NEN) beim Cancer Update des Comprehensive Cancer Center Vienna vom 21. Mai 2024 berichtet. In dieser Ausgabe fassen wir den zweiten Teil dieser Fortbildung zum Schilddrüsenkarzinom zusammen. Durch die Veranstaltung führten Ap. Prof. Barbara Kiesewetter-Wiederkehr und Univ.-Prof. Christian Scheuba.

Key Facts aus der Pathologie

Den Anfang machte Univ.-Prof. Peter Mazal, Klinisches Institut für Pathologie, MedUni Wien/AKH Wien. Er berichtete über die aktuelle WHO-Klassifikation der Schilddrüsenkarzinome, die relevant für die Therapie und die Prognose sein kann.1

Mehr als 80% der Schilddrüsentumoren seien Tumoren der Follikelepithelzellen, erklärte Mazal. Sie werden nach der neuen Klassifikation unterteilt in „benigne“, „low risk“ und „maligne“. Zu den benignen Tumoren gehören das follikuläre Schilddrüsenadenom (FA) und neuerdings das FA mit papillärer Architektur (FAp), das dem autonomen, hyperfunktionellen „toxischen“ Knoten entspricht. Außerdem werden das onkozytische Adenom (OA) und die „follicular nodular disease of the thyroid“ (FND) zu den benignen Tumoren gezählt. Die FND entspricht der Struma nodosa, die nun als benigne neoplastische Läsion gilt.1

Neu geschaffen wurde die Kategorie der „low risk“ Neoplasien der Schilddrüse, welche in der Regel ein sehr geringes Metastasierungsrisiko aufweisen, oft ähnliche molekulare Signatur zeigen und keine aggressiven postoperativen Therapien benötigen. In dieser Gruppe finden sich nun NIFTP („non-invasive follicular thyroid neoplasm with papillary-like nuclear features“), WDT-UMP („well differentiated tumour of uncertain malignant potential“), FT-UMP („follicular tumour of uncertain malignant potential“) und der hyalinisierende trabekuläre Tumor.1 Die Gruppe der malignen Schilddrüsentumoren umfasst einerseits die konventionellen „differenzierten“ Karzinome: papilläres (PTC), follikuläres (FTC) und onkozytisches (OTC) Schilddrüsenkarzinom. Neben den konventionellen Karzinomen gibt es andererseits noch die „high grade“ Karzinome, dazu zählen das wenig differenzierte Schilddrüsenkarzinom (PDTC), das neu geschaffene differenzierte Karzinom „high grade“ (DTC HG) und das anaplastische Schilddrüsenkarzinom (ATC), zu dem jetzt auch das Plattenepithelkarzinom der Schilddrüse gerechnet wird, das früher als eigene Entität betrachtet wurde. Die Prognose dieser „high grade“ Karzinome der Schilddrüse sei ungünstig, wobei das ATC die schlechteste habe, sagte Mazal.

Zuletzt ging er noch auf C-Zell-Neoplasien, die medullären Schilddrüsenkarzinome (MTC), ein. In der neuen Klassifikation werden „MTC high grade“ und „MTC low grade“ unterschieden. Während das aggressivere MTC „high grade“ durch einen erhöhten Mitose- und/oder Proliferationsindex und/oder Nekrosen gekennzeichnet ist, fehlen diese Merkmale beim MTC „low grade“.

Komplikationen bei der Chirurgie vermeiden

Univ.-Prof. Christian Scheuba, Universitätsklinik für Allgemeinchirurgie/AKH Wien, erläuterte das chirurgische Vorgehen und worauf bei Operationen der Schilddrüse zu achten ist. Die Grundsätze der chirurgischen Therapie seien von der neuen Klassifikation unberührt, da die Aufbereitung des Tumormaterials in der Pathologie erst nach dem Eingriff erfolge, sagte er. Daher ging Scheuba auf mögliche Komplikationen bei Schilddrüsenoperationen ein. Dazu gehören die Unterfunktion der Nebenschilddrüsen (NSD) und die Parese des Nervus laryngeus recurrens („Recurrensparese“), welche die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen können.

NSD-Unterfunktion

Eine NSD-Unterfunktion tritt nach einer Schilddrüsenoperation häufig auf: postoperativ in etwa 25% der Fälle, noch häufiger, wenn zudem eine zentrale Halsdissektion erfolgt (ca. 42%). Sie kann sich aber zurückbilden. So leiden bei der Entlassung nur noch rund 15%, bei zentraler Halsdissektion 26% der Patient:innen daran. Im Follow-up findet sie sich noch bei knapp 4% bzw. 11% der Betroffenen.2

In der Pathologie werden bei rund 7% der Präparate Nebenschilddrüsen gefunden, die unbeabsichtigt entfernt wurden. Eine Möglichkeit, dies zu vermeiden, ist die Nebenschilddrüsen-Autofluoreszenz (Abb.1). Dabei wird das Gewebe mit einem Laser bestrahlt. Anhand der reflektierten Strahlung kann die NSD identifiziert werden. Allerdings erlaubt das Verfahren keine Aussage über die Durchblutung und damit die Funktionsfähigkeit der NSD. Zur Vitalitätsbeurteilung kann vor dem Eingriff Indocyaningrün (ICG) i.v. injiziert werden. Durch Laserbestrahlung können so auch die Blutgefäße dargestellt werden.

Parese des Nervus laryngeus recurrens

Um Paresen des Recurrensnervs zu vermeiden, ist das intraoperative Neuromonitoring (IONM) eine Option. Scheuba stellte dazu eine Studie vor, in der retrospektiv bei mehr als 1300 Patient:innen untersucht wurde, welchen Einfluss das IONM auf das Auftreten von Recurrensparesen hatte.3 Alle waren wegen benigner Schilddrüsenveränderungen operiert worden. Besonders interessant waren dabei 13 Patient:innen, bei denen eine Nervenschädigung bereits bekannt gewesen oder intraoperativ festgestellt worden war, und 36 Patient:innen mit negativem IONM an der ersten Operationsstelle. Bei 11/13 bzw. 20/36 Patient:innen wurde aufgrund des IONM das Vorgehen verändert, das Operationsteam gewechselt oder der Eingriff abgebrochen und die zweite Seite zu einem späteren Zeitpunkt operiert, was eine bilaterale Recurrensparese verhinderte. Im Gegensatz dazu kam es in 3/18 Fällen, in denen eine bestehende Nervenschädigung nicht erkannt wurde, zu einer bilateralen Recurrensparese.3 Wichtig sei, auch den N. vagus zu stimulieren, da die Verletzung auch zwischen dem Abzweig des N. recurrens aus dem N. vagus und der Schilddrüse liegen könne, betonte Scheuba.

Bei einem ausbleibenden Nervensignal sollte der Eingriff abgebrochen und die zweite Seite operiert werden, wenn der Nerv sich erholt habe. Diese Möglichkeit der zweizeitigen Operation müsse den Patient:innen im Aufklärungsgespräch erläutert werden, sagte Scheuba.

Wann ist eine Radiojodtherapie indiziert?

Im Vortrag von Dr. Oana Kulterer, PhD, Universitätsklinik für Radiologie und Nuklearmedizin/AKH Wien, ging es um die Risikostratifizierung bei differenzierten malignen follikulären, papillären und onkozytischen Schilddrüsenkarzinomen. Die erste Frage sei, welche Patient:innen überhaupt eine Radiojodtherapie (RJT) brauchen, so Kulterer. Die Entscheidung werde immer gemeinsam mit der Chirurgie und der Pathologie getroffen.4,5 Eine absolute Indikation für die RJT ist ein hohes Rezidivrisiko (>20%). Patient:innen mit intermediärem Rezidivrisiko können eine RJT bekommen, müssen aber nicht. Die Infobox gibt eine Übersicht über die wichtigsten Kriterien betreffend das Rezidivrisiko.4,5 Doch auch Patient:innen mit einem niedrigen Rezidivrisiko könnten von der RJT profitieren, zum Beispiel, wenn bei einem pT1a-Stadium Risikofaktoren wie eine Multifokalität oder Genmutationen hinzukommen, erklärte die Nuklearmedizinerin. Außerdem kann die RJT im Rezidiv oder bei Fernmetastasen eingesetzt werden, falls diese nicht chirurgisch zu behandeln sind.

Behandelt wird mit Iod-131 (131I) oral, das Beta- und Gammastrahlen aussendet. Die Betastrahlung wird therapeutisch genutzt, während die Gammastrahlung der Bildgebung dient. Die RJT erfolgt immer stationär. Zuvor muss zwei Wochen lang eine jodarme Diät eingehalten werden, d.h. kein Fisch, keine Nüsse, nichts Geräuchertes etc. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die Patient:innen hypothyreot sind, denn die Jodaufnahme in die Schilddrüse wird gesteuert vom Thyreoidea-stimulierenden Hormon (TSH). In der Hypothyreose steigt dieses an und fördert so die Aufnahme von 131I.6 Eine Hypothyreose kann außer durch Jodkarenz auch durch die Gabe von Thyrogen (rekombinantes humanes TSH) erreicht werden, wie Kulterer erklärte.6 Da 131I eine Halbwertzeit von acht Tagen hat, können die Patient:innen erst entlassen werden, wenn bei ihnen eine Ortsdosisleistung von <3,2µSv/h in zwei Metern Abstand gemessen wird, sagte die Nuklearmedizinerin. Als häufige Nebenwirkungen nannte sie Übelkeit, gastrointestinale Beschwerden sowie Schmerzen im Bereich des Halses und der Speicheldrüsen.7 Insgesamt sei die RJT aber sehr sicher und nebenwirkungsarm, betonte sie.

Was tun beim Rezidiv?

Dr. Teresa Binter, Universitätsklinik für Allgemeinchirurgie/AKH Wien, befasste sich mit dem Vorgehen bei einem Schilddrüsenkarzinomrezidiv. Sie wies dabei auf die aktuellen US-amerikanischen und europäischen Leitlinien hin.8,9 Und obwohl das Rezidivrisiko in den Leitlinien in „low“, „intermediate“ und „high“ unterteilt wird,8,9 handele es sich eher um ein Kontinuum, das von 1% bis 50% reiche, sagte Binter. Anhand der Gewebseigenschaften des Tumors lässt sich nach derzeitigem Stand das Rezidivrisiko ebenfalls nur schwer abschätzen, weshalb auf diesem Gebiet – auch am CCC – intensiv geforscht wird, erklärte sie.

Eine Operation ist indiziert, wenn

  • das Rezidiv durch eine Biopsie verifiziert wurde, wobei dies nicht immer notwendig ist, wenn etwa die Bildgebung bereits ausreichend ist,

  • zentrale Lymphknoten >8mm groß sind,

  • laterale Lymphknoten >10mm groß sind,

  • das Rezidiv ausgedehnt oder invasiv ist.8,9

Beim Rezidiv des MTC ist der Calcitoninspiegel ein wichtiger Parameter. Ein erhöhter Spiegel könne sowohl auf ein lokoregionäres Geschehen hinweisen wie auch auf entfernte Mikro- und Makrometastasen, sagte Binter. Eine Reoperation führe in mehr als einem Drittel der Fälle zu einer langfristigen Tumoreradikation und sei auch bei Metastasen zu erwägen, um Infiltration und/oder Kompression des umliegenden Gewebes zu vermeiden.10,11

Grundsätzlich müsse bei einer Rezidivoperation der Nutzen den möglichen Risiken gegenübergestellt werden, so Binter. Die Risiken sind bei einer Reoperation aufgrund von Vernarbungen/Verwachsungen immer höher. Daher ist in diesen Fällen eine besondere chirurgische Expertise gefordert. Die Entscheidung dafür sollte immer interdisziplinär im Tumorboard und gemeinsam mit den Betroffenen (und deren Familien) getroffen werden.

Zielgerichtete Therapie

Prof. Barbara Kiesewetter-Wiederkehr, Klinische Abteilung für Onkologie, Universitätsklinik für Innere Medizin I/AKH Wien, sprach über die zielgerichtete orale Behandlung beim Radioiod-refraktären Schilddrüsenkarzinom. Sie wies dabei nochmals darauf hin, dass die Prognose von der Histologie und vom Tumorstadium abhängt.

Bei etwa 90% der Patient:innen mit differenzierten Tumoren ist die chirurgische Behandlung mit/ohne RJT ausreichend. Es kann aber zu Rezidiven kommen, die in den meisten Fällen gut mit einer Lokaltherapie zu behandeln sind. Bei bis zu 25% der Patient:innen mit Rezidiven können aber auch Fernmetastasen auftreten, vor allem in der Lunge und den Knochen.12,13 Wenn in solchen Fällen alle anderen Therapieoptionen ausgereizt sind und die RJT nicht mehr wirkt, dann sei der Zeitpunkt für eine systemische onkologische Behandlung gekommen, sagte Kiesewetter-Wiederkehr. Basis der Therapieplanung ist die ESMO-Leitlinie.9 Dabei sind Multikinase-Inhibitoren (MKI), die zum Beispiel die Angiogenese, das Fibroblastenwachstum oder, beim MTC, die RET-Kinase hemmen, der Goldstandard.14,15

Die Onkologin ging anhand von Studien auf die wichtigsten Substanzen ein. Einer der potentesten MKI sei Lenvatinib, erklärte sie. In einer großen Phase-III-Studie verlängerte der Wirkstoff im Vergleich zu Placebo das progressionsfreie Überleben (PFS) signifikant (18,3 vs. 3,6 Monate; p<0,001) und wies eine objektive Ansprechrate (ORR) von rund 65% (vs. 1,5%) auf.16

Allerdings sollte von Anfang an ein Augenmerk auf die Nebenwirkungen gelegt werden, sagte die Onkologin, denn im Verlauf der Therapie erleide fast jede:r Patient:in eine relevante Nebenwirkung, am häufigsten Hypertonie, Diarrhö und Fatigue.16 Vor allem die Hypertonie könne auch einen schweren Verlauf nehmen und zur stationären Aufnahme führen, warnte sie. Daher werde bei einem Großteil der Patient:innen eine Dosisreduktion nötig. Wie dies die Wirksamkeit beeinflusst, untersuchte eine österreichische Studie.17 Sie verzeichnete erst bei einer Dosierung unter 10mg/Tag Lenvatinib (übliche Startdosis: 24mg/Tag) einen relevanten Wirkverlust.17 Sorafenib ist der zweite MKI, der schon länger beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom zugelassen ist. Auch dieser MKI hat sich in einer großen Phase-III-Studie als wirksam und sicher in der Erstlinientherapie erwiesen.18

Was tun bei Progredienz in der Erstlinientherapie?

Die Frage nach der besten Zweitlinienbehandlung beantwortete die Phase-III-Studie COSMIC, die Cabozantinib im Vergleich zu Placebo nach MKI-Therapie untersuchte.19 Der primäre Endpunkt, die ORR, war unter Cabozantinib zwar höher als unter Placebo (15% vs. 0%), aber statistisch nicht signifikant. Dagegen war der koprimäre Endpunkt, das PFS (nicht erreicht vs. 1,9 Monate), mit einer Hazard-Ratio (HR) von 0,22 (p<0001) hoch signifikant. Dabei spielte es keine Rolle, ob in der Erstlinie Lenvatinib, Sorafenib oder beides eingesetzt worden war.19

Bedeutung der molekularen Testung

Die molekulare Testung ist für die Therapieplanung relevant.20 Ein wichtiges Target ist die RET-Fusion, die in 10–20% der papillären Schilddrüsenkarzinome nachgewiesen werden kann. In diesen Fällen finden sich gute Raten beim Ansprechen auf einen selektiven RET-Inhibitor wie Selpercatinib, das seit diesem Jahr auch für die Erstlinientherapie zugelassen ist.21,22

RET-Alterationen sind vor allem beim MTC von Bedeutung, da sie in mehr als 60% der Tumoren gefunden werden.23,24 Therapeutisch wurden in der Vergangenheit MKI eingesetzt, die auch die RET-Alterationen abdecken. Da aber mit Selpercatinib ein selektiver Inhibitor zur Verfügung steht, wurde dieser in der Phase-Ib-Studie LIBRETTO-001 auf Wirksamkeit und Sicherheit beim MTC getestet.21 Die Daten waren so überzeugend, dass bereits auf dieser Grundlage 2021 die EMA-Zulassung von Selpercatinib als Zweitlinientherapie und 2022 als Erstlinienbehandlung beim RET-mutierten MTC erfolgte. Bestätigt wurden die Resultate in der Phase-III-Studie LIBRETTO-531, in der der selektive TKI mit den MKI Cabozantinib und Vandetanib verglichen wurde.Selpercatinib verlängerte das mediane PFS (mPFS) signifikant (nicht erreicht vs. 16,8 Monate; p<0,0001) bei einer ORR von rund 70% (vs. 40%).25 Fast 30% der Patient:innen zeigten unter Selpercatinib eine biochemische Komplettremission und mehr als 90% zumindest eine partielle biochemische Remission.21

Gegenstand weiterer Forschung sei nun das Vorgehen, wenn der selektive RET-Inhibitor nicht mehr wirke, und welche Behandlung bei RET-negativen Patient:innen eingesetzt werden sollte, sagte Kiesewetter-Wiederkehr.◼

◾1513

Quelle:

CCC Vienna Cancer Update: Neuroendokrine Tumoren und Schilddrüsenkarzinome, 21. Mai 2024 (hybrid)

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Abb. 1:Autofluoreszenz der Nebenschilddrüse

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© C. Scheuba

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