«Mein Ziel ist, dass Patient und Arzt nichts mehr von der Erkrankung merken»

In der Schweiz sind schätzungsweise 85000 Menschen von rheumatoider Arthritis (RA) betroffen.1 Viele von ihnen leiden unter Schmerzen, starken körperlichen Einschränkungen und einer verminderten Lebensqualität.2 Welche Herausforderungen diese chronisch entzündliche Gelenkerkrankung für den Arzt und die Patienten mit sich bringt und wie man mit neuen Behandlungsoptionen, beispielsweise den Januskinase (JAK)-Inhibitoren, auch ambitionierte Therapieziele erreichen kann, erläutert Prof. Dr. med. Ulrich Walker, Facharzt fürInnere Medizin, Rheumatologie und Allergologie am Universitätsspital Basel, im nachfolgenden Interview.

Die RA-Therapie hat sich in den letzten 10 Jahren stark verändert. Was hat Sie am meisten überrascht?

U. Walker: Verändert hat sich in den letzten Jahren vor allem das Therapieziel. Früher stand im Vordergrund, dass es dem Patienten besser geht. Heute ist das Ziel die Remission, also dass der Patient nicht mehr krank ist. Man ist ehrgeiziger geworden, was natürlich durch eine Vielzahl neuer Wirkstoffe und therapeutischer Angriffspunkte ermöglicht wird. Für einige Substanzen kann dies eine Vereinfachung der Therapie bedeuten. So ist nun in gewissen Fällen eine Monotherapie möglich. Was mich wirklich überrascht hat, ist, dass trotz dieser Viefalt an zur Verfügung stehenden Substanzen ein substanzieller Anteil der Patienten noch immer keine Remission erreicht – bei strenger Definition von Remission sind das sicherlich 50%.

Was ist Ihrer Meinung nach das «optimale Therapieziel» und wie erreicht man es?

U. Walker: Mein erklärtes Ziel ist, dass weder der Patient noch der Arzt irgendetwas von der Erkrankung bemerken. Dieses Ziel kann nur mithilfe von Medikamenten erreicht werden. Hier ist entscheidend, dass der Patient diese Medikamente problemlos auch über Jahre hinweg verträgt und keine irreversiblen Nebenwirkungen auftreten. Das bedeutet auch, dass langfristig kein Kortison eingesetzt werden sollte.

Welche Therapieaspekte spielen für die Patienten die grösste Rolle und was erwarten Ihre Patienten heute von ihrer Therapie?

U. Walker: Es ist klar, dass der Patient seine Krankheit in anderen Kategorien bewertet als sein Rheumatologe. Der Rheumatologe konzentriert sich meistens auf die Gelenke und schaut, ob diese schmerzhaft oder geschwollen sind. Auch für den Patienten steht der Schmerz im Vordergrund. Jedoch leidet er zudem oft an Symptomen wie Müdigkeit und fehlender Leistungsfähigkeit. Darüber hinaus macht er sich Gedanken um seine Zukunft, wie es beruflich weitergehen kann, ob er beweglich bleibt. Solche Aspekte bewertet der Rheumatologe in einer Routinesprechstunde oft nicht regelmässig gemeinsam mit dem Patienten. Natürlich ist es dem Patienten wichtig, dass seine Therapie mit seinem Lebensstil hinsichtlich Berufstätigkeit und Freizeit, insbesondere in Bezug auf Mobilität und Reisetätigkeit, kompatibel ist. Hier spielen beispielsweise die Notwendigkeit der Kühlung eines Medikaments oder die Anzahl täglich einzunehmender Tabletten eine grosse Rolle. Der Rheumatologe fokussiert hingegen grösstenteils auf die Wirksamkeit und die Sicherheit eines Medikaments.

Hat sich die Einstellung der Patienten zur Therapie in den letzten Jahren verändert?

U. Walker: Basierend auf einer vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung erwarten viele Patienten, dass ihr behandelnder Rheumatologe die therapeutische Entscheidungsfindung einfach übernimmt. Der Grundsatz des «shared decision making» ist in diesen Fällen eher schwer zu realisieren. Andere Patienten dagegen nutzen die neuen Medien durchaus kompetent, um sich beispielsweise mithilfe von «Dr. Google» über ihre Erkrankung zu informieren. Dadurch ist die Beziehung zwischen Arzt und Patient heutzutage nicht mehr so eindimensional, wie sie früher einmal war. Patienten trauen sich auch, Zweitmeinungen einzuholen oder kritische Fragen zu stellen. Diese Eigeninitiative ist durchaus zu begrüssen und auch wir als Ärzte profitieren von einem aufgeklärten Patienten.

Wo sehen Sie Unterschiede innerhalb der Klasse der JAK-Inhibitoren?

U. Walker:Die therapeutische Wirksamkeit ist eher mit der Inhibition von JAK1 assoziiert, gewisse Nebenwirkungen, beispielsweise die Entwicklung von Anämie, eher mit der Inhibition von JAK2. Von daher ist das therapeutische Fenster umso breiter, je stärker JAK1 und je schwächer JAK2 inhibiert wird. Hier gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen JAK-Inhibitoren, was wiederum Auswirkungen darauf hat, welche Wirksamkeit man bei einer gewissen Dosierung erzielen kann und wie viele Nebenwirkungen auftreten. Ob insbesondere Thromboembolie eine Folge der Ratio JAK1-/JAK2-Inhibition ist, ist noch unklar. Neben der Selektivität spielt die unterschiedliche Halbwertszeit der verschiedenen JAK-Inhibitoren eine Rolle. Diese beeinflusst, wie oft das Medikament eingenommen werden muss – einmal oder zweimal täglich.

Welche Vorteile sehen Sie in der Verfügbarkeit von Upadacitinib (Rinvoq®) als neue Therapieoption für RA-Patienten?

U. Walker:Upadacitinib ist ein relativ selektiver JAK1-Inhibitor. Wenn es sich in die klinische Praxis übersetzen lässt, dass ein höheres Verhältnis von JAK1- zu JAK2-Inhibition tatsächlich das therapeutische Fenster erweitert, steht uns mit Upadacitinib ein Medikament zur Verfügung, welches potenziell wirksamer ist als vergleichbare JAK-Inhibitoren. Des Weiteren scheinen klinische Studien zu bestätigen, dass Upadacitinib sogar wirksamer ist als das Biologikum Adalimumab, welches bisher ein sehr erfolgreiches Medikament bei der RA-Behandlung ist. Zudem muss Upadacitinib nur einmal täglich eingenommen werden und hat wenig Interaktionspotenzial.

Wie wird sich die Behandlung von RA-Patienten in den nächsten Jahren entwickeln?

U. Walker:Ich erwarte hier keine Quantensprünge. Allerdings werden sich gewisse Trends sicherlich verstärken. Dazu gehört, dass das therapeutische Prinzip «hit hard and early» noch erweitert wird. Dies bedeutet eine noch frühere Diagnose der Erkrankung, eine noch frühere Überweisung der betroffenen Patienten an den Rheumatologen und eine noch frühere Implementierung einer Therapie. So kann das Auftreten von Langzeitschäden weiter reduziert werden. Das Therapieziel der Remission, insbesondere nach den sogenannten «Boolean»-basierten und nicht nach DAS-basierten Kriterien, wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit noch weiter durchsetzen. In Zukunft werden sicherlich noch mehr Substanzen mit neuen Wirkprinzipien zur Verfügung stehen. Ausserdem werden mehr Biosimilars auf den Markt kommen und auch telemedizinische Ansätze im Monitoring von Krankheitsaktivität werden sicherlich zunehmend genutzt werden. Zudem wird es wahrscheinlich mehr monotherapeutische Ansätze geben, da manche Substanzen, einschliesslich Upadicitinib, auch in der Monotherapie sehr gute klinische Studiendaten aufweisen.◼

Das Interview führte
Dr. sc. nat. Jennifer Keim

Literatur:

1 Rheumatoide Arthritis. Rheumaliga Schweiz Website: https://www.rheumaliga.ch/rheuma-von-a-z/arthritis. Last access: 07.04.2020 2 Gibofsky A: Epidemiology, pathophysiology, and diagnosis of rheumatoid arthritis: a synopsis. Am J Manag Care 2014; 20(7 Suppl): S128-35 3 O‘Shea JJ et al.: The JAK-STAT pathway: impact on human disease and therapeutic intervention. Annu Rev Med 2015; 66: 311-28 4 Liste der zugelassenen Humanarzneimittel. Accessible on https://www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/services/listen_neu.html. Letzter Zugriff:14.01.20205 Aktuelle Fachinformation von Rinvoq® (Upadacitinib). www.swissmedicinfo.ch. State of information: January 2020 6 Spezialitätenliste des Bundesamts für Gesundheit 2020. www.spezialitaetenliste.ch

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